Wie Unternehmen jetzt ihre Mitarbeiter*innen mental am besten unterstützen können, erklärt Notfall- und Arbeitspsychologe Johann Beran¹  in diesem Interview.

Wenn Ihnen jemand Anfang des Jahres dieses Pandemie-Szenario erzählt hätte, hätten Sie wohl kopfschüttelnd „was für ein Horrorfilm“ gemurmelt.  Doch plötzlich ist es gelebte Realität, ein Virus fährt die Wirtschaft fast auf Null und schränkt unser Leben extrem ein. Zu Hause bleiben und Distanz halten, sind die Mantras der Zeit.

Wir haben mit unseren Kund*innen hunderte Krisenpläne entwickelt und implementiert, die Prozesse im Pandemiefall sind somit in den Unternehmen eindeutig geregelt und funktionieren klaglos. Doch welche psychologischen Auswirkungen eine monatelange Krisensituation auf Unternehmer*innen und Mitarbeiter*innen hat, können damit nicht abgebildet werden. Daher baten wir Notfallpsychologen Johann Beran zum Gespräch.

 

Können Führungskräfte mental unterstützen?

INFRAPROTECT®:  Herr Beran, COVID-19 stellt Unternehmen und Mitarbeiter*innen vor nie gekannte, vielschichtige Herausforderungen. Da sind psychische Belastungen wohl unausweichlich. Kann man voraussetzen, dass Führungskräfte jetzt mentale Stärke zeigen und ihre Kolleg*innen in dieser Krise unterstützen? Wie kann diese Unterstützung aussehen? Oder benötigen Führungskräfte selbst auch Hilfe?

Johann Beran: Unsere Gehirne unterscheiden nicht, wer welche Position innehat, sondern ob jemand mehr oder weniger resilient (widerstandsfähig gegen Krisen) ist.

Laut Epigenetik wird dies 3 Monate vor der Zeugung² festgelegt. Dazu kommen all die erlernten Erfahrungen im Lauf des Lebens und wie hoch der Spannungslevel derzeit ist, ob es noch Erholung  im Schlaf gibt. Kurz zusammengefasst, wieviel Kraft ist im Organismus derzeit vorhanden und wie ist  diese – auch im Gehirn – verteilt?

Krisen beschäftigen immer äußerst stark unser Unbewusstsein, das immerhin mehr als 90% des Gehirns umfasst. Somit kommt es darauf an, ob jemand gelernt hat, wie das Ausbalancieren im Gehirn funktioniert. Da unterscheiden sich Führungskräfte prinzipiell nicht von den Mitarbeiter*innen.

Führungskräfte sollten natürlich im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht ihre Kolleg*innen unterstützen, doch dabei sind unbedingt die eigenen Grenzen zu beachten und zu wahren. Bevor die Belastung für einen selbst zu hoch wird, sollte man sich Rat holen, zum Beispiel beim NDÖ (Notfallpsychologischer Dienst Österreich) Mo – Fr |  9:00 – 17:00 Uhr:  +699 – 18855400 und natürlich gerne auch bei mir ¹

 

Angst um den Arbeitsplatz

INFRAPROTECT®:  Viele Mitarbeiter*innen machen sich derzeit um ihre Arbeitsplätze und somit um ihre Zukunft Sorgen, wie sollten die Unternehmen damit umgehen?

Johann Beran: Klar und deutlich. Je weniger Raum für Phantasien bleibt, um so besser können Menschen damit umgehen. In Krisenzeiten braucht es klare Unterstützungen derjenigen, die in’s Home Office gehen, die auf Kurzarbeit geschickt oder die gekündigt werden. Mitarbeiter*innen registrieren solche Schritte, auch wenn sie selbst nicht direkt davon betroffen sind. Umgangs- und Beziehungskultur definieren Verbundenheit und Motivation sehr!

 

Belastung im Home-Office

INFRAPROTECT®:  Nun ist für die meisten bereits die 6. Woche im Home-Office angebrochen. Manche sind ganz alleine und vermissen den Austausch mit den Kolleg*innen. Andere müssen die dreifache Herausforderung, (zu Hause) arbeiten, Kinder betreuen und dabei möglichst in den eigenen 4 Wänden bleiben, meistern. Welche psychologische Unterstützung kann ein Unternehmen seinen Mitarbeiter*innen im Home-Office anbieten?

Johann Beran: Zunächst muss allen Beteiligten klar sein, dass zu Hause arbeiten nicht bedeutet, dort einfach eine Filiale des Unternehmens aufzumachen.

„zu Hause ist der Ort des Nichtarbeitens,
der Familie und der Erholung“

Unsere Gehirne haben sehr gut gelernt, zu Hause als den Ort des Nichtarbeitens, der Familie und der Erholung zu verstehen. Arbeiten in Home-Office löst also zwei einander widersprechende Datenpools aus, die sich ganz schön im Weg stehen können und ähnlich wie beim Multitasking das Gehirn rasch (über)fordern.

Hier muss ganz klar die Zeit zum Erlernen eines neuen Verhaltens-Musters gegeben werden, im Idealfall mit ausreichender Unterstützung. Es braucht auch eine deutliche Besinnung auf wichtige Hauptlinien und damit verbunden eine Entrümpelung von unnötigen Aufgaben.

Ein Beispiel: Klarerweise braucht es festgelegte Zeitpunkte für gemeinsame Konferenzen, aber dabei dürfen kleine Kinder im Hintergrund nicht als Störungen gesehen werden. Kinder sind sehr empfindliche Seismographen für Stimmungen und brauchen gerade in Krisenzeiten sehr viel mehr Zuwendung. Sie können dann auch nicht ruhig sein, da gibt es keinen „Aus“-Knopf. Zwingen Sie Ihre Mitarbeiter*innen nicht, zwischen den Anforderungen der Kinder und der Vorgesetzten wählen zu müssen.

Mit starkem oder mangelndem Verständnis können jetzt positive oder negative Schienen für die Zukunft gelegt werden.

 

Belastung an der Arbeitsstelle mit Kundenkontakt

INFRAPROTECT®:  Mitarbeiter*innen, die weiter an ihren Arbeitsort kommen müssen, kämpfen – vor allem bei häufigen Kundenkontakt – mit der Angst vor Ansteckung und dem Verhalten von genervten Kund*innen. Wie kann das Unternehmen helfen, mit diesen Stressfaktoren umzugehen?

Johann Beran: Diese Menschen brauchen ein sehr klares, ständiges und intensives Wissen darüber, wie sie sich selbst schützen können und wie die Organisation sie dabei unterstützt. Sie brauchen deutliche Pausen und ein Erlernen von notfallpsychologischen Methoden zur Balance der mentalen Prozesse.

Angst wirkt ja sowohl über die Intensität als auch über die Dauer, im schlechtesten Fall über eine Kombination davon. Der Aufbau einer guten Stützstruktur ist also unerlässlich, sie sollte immer wieder auf die Menschen zugehen und nicht warten, bis diese von sich aus kommen. Krisenzeiten führen zu verminderter Lernfähigkeit, daher greifen unsere Gerhirne auf jahrelang gelebte Muster zurück und speichern veränderte Abläufen und Möglichkeiten kaum ab.

Führungskräfte sind keine Psychologen, sie sollten auch nicht versuchen, gerade in der Krise welche zu werden. Das wäre nur eine völlige Überforderung und in manchen Fällen auch absolut kontraproduktiv. Es soll niemand glauben, alles immer im Griff zu haben, schon gar nicht bei sich selber. Und jeden Mensch kann plötzlich die Angst packen. Posttraumatische Belastungsstörungen können auch bei bestens geschulten Personen auftretet, da gibt es viele, viele Beispiele dafür.

Daher stehe ich derzeit mit den von mir betreuten Unternehmen und ihren Mitarbeiter*innen im ständigen Austausch, beantworte Fragen und unterstütze mental.

 

Kann man diesen außerordentlichen Einsatz seiner Mitarbeiter*innen gebührend würdigen?

INFRAPROTECT®: Viele unsere Kund*innen sind Betriebe der kritischen Infrastruktur wie Versorger, Verkehrsbetriebe, Spitäler und Banken. Alles Branchen, in denen viele Mitarbeiter*innen derzeit großartigen Einsatz zeigen. Über welche Würdigung ihrer Leistung würden sich Ihrer Meinung nach Mitarbeiter*innen wirklich freuen? (eine häufige Frage bei unserer Corona-Hotline)

Johann Beran: Anerkennung, Zuwendung, gutes Beziehungsmanagement und ein deutliches Hinschauen auf jede einzelne Person, ob diese noch gut kann oder bereits leichte Spuren von Überforderung zeigt. Im Krisenfall kommen all die Basismuster zum Vorschein und wir reagieren viel schneller, wie kleine Kinder, die beschützt werden wollen. Statt Papa und Mama ist es jetzt eben die Organisation oder die Führungskraft, die diese Position übernimmt.

Dann muss diese aber auch deutlich übernommen werden. Sichtbar und spürbar mit einer klaren Bring-Notwendigkeit. Das alles steht noch über etwaigen finanziellen Abgeltungen. Gute Beziehungen machen viel möglich. Es muss auch darauf geschaut werden, dass die Opfer-Mentalität mancher Menschen nicht ausgereizt wird (durch sie selber, aber auch nicht durch die Organisation). Gutes Beziehungs- und Erholungsmanagement sind die Schlüsselbegriffe dafür.

 

Angst – Gefühl einfach abschütteln?

INFRAPROTECT®: Zum Abschluss, bitte um einen Tipp:
Gibt es einen Trick, wie man schnell das lähmende Gefühl der Angst los wird?

Johann Beran: Es gibt eine kurze Atemübung aus der Notfallpsychologie, die bei 100% der Menschen zu 100% wirkt.

Sie reduziert den erhöhten Sauerstoffgehalt durch Angstatmung im Blut wieder, senkt den Lungendruck und den hohen Puls und ermöglicht dem Gehirn klares Denken.

Die Atemtechnik heißt 5-1-5. Sie formen die Lippen, als hätten sie ein kleines Röhrchen darin (Kussmund) und saugen die Luft an, dabei zählen sie innerlich bis 5 (Sekunden) ohne auf die Uhr zu schauen, dann 1 Sekunde die Luft anhalten, dann wieder 5 Sekunden ausatmen. Das wiederholen sie gut 20 mal hintereinander. Einerseits senkt es den Sauerstoffgehalt, andererseits ist das Gehirn mit Zählen beschäftigt und da wir nicht Multitasking können, schiebt es die angstauslösenden Reize kurz weg.

Oder Sie bewegen sich an einem uneinsichtigen Ort kurz und intensiv, springen, in die Luft boxen, was auch immer. Damit wird das Muster des Kämpfen und Flüchtens bedient, dass bei allen Primaten durch die Spannungserhöhung eingeschaltet wird. Auch damit können kurze Entlastungsfenster und eine Balance von Spannung und Entspannung bewirkt werden.

Das verbessert auch in Zukunft die Erholungsqualität des Schlafs, die Kraft und Gesundheit des Organismus. Sollte ohnehin Standard sein, das Leben ist immer spannend genug.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

¹ Neben seiner erfolgreichen Wirtschaftskarriere begann Johann Beran Psychologie zu studieren und arbeitete in unterschiedlichen Bereichen klinischer Einrichtungen.
im Rahmen des Vorstandes des BÖP gilt er als Mitinitiator von Notfallpsychologie und Arbeitspsychologie in Österreich.

Sein Hauptaugenmerk galt stets Menschen in schweren emotionalen Krisen, so arbeitete er über zwei Jahrzehnte mit Angehörigen von Selbstmördern, Unfall-oder Katastrophen-Opfern (Kaprun) und traumatisierten Flüchtlingen (Kosovokrieg).
Bereits pensioniert, unterstützt er  weiterhin als Notfallpsychologe und Arbeitspsychologe Banken und behördliche Organisationen.
Kontakt per M.+43 664 2061910 oder E-Mail: johann.beran@praxis-beran.at

 

²Epigenetischen Studien zufolge hat ein hoher Stresslevel der Eltern 3 Monate vor der Zeugung merkbare Auswirkungen auf die Resilienz des Kindes. Manche werden dadurch extrem Stress empfindlich andere besonders Stress resistent.

Foto: Johann Beran, privat beigestellt
http://www.praxis-beran.at/